Katalogtext zur Installation CONDITION von Emil Walde, realisiert im Rahmen der Ausstellungsreihe in vitro im Glaspavillon Grugapark Essen, 2. März – 7. April 2024
Wenn die Sonne durch die Scheiben den Glaspavillons fällt, zeigen die Muster auf dem Fußboden, dass sich die Grenze zwischen Innen und Außen verändert hat. Während das Licht sonst ungehindert und gleichmäßig die Glasfassade durchdringt, sind nun sternförmig angeordnete Streifen zu sehen, die durch halbtransparente Klebefolien auf den Scheiben entstehen. Sie sind Teil von Emil Waldes künstlerischer Arbeit Condition, mit der er in den architektonischen Raum des Glaspavillons in der Kulturlandschaft des Essener Grugaparks interveniert und diesen für einige Wochen anders und neu erfahrbar macht.
Der Pavillon ist ein bislang weitgehend übersehenes Kleinod moderner Architektur des International Style in Essen. [1] Ursprünglich als Lesepavillon für die Bundesgartenschau 1965 konzipiert und genutzt, zeichnet er sich durch einen freien Grundriss mit filigranen Stahlstützen und großen Glasfronten aus und ist von großzügigen Terrassenflächen umgeben. Das Gebäude atmet den Geist der 1960er Jahre, in denen der Park nicht nur dem Naturerlebnis und der Erholung der Essener Bevölkerung dienen sollte, sondern auch ihrer Bildung, weshalb den Besucher*innen ein Ort zum Lesen mit Büchern zur Ausleihe angeboten wurde. Nachdem der Pavillon lange Zeit ungenutzt blieb und sogar sein Abriss diskutiert wurde, hat vor etwa zehn Jahren eine ehrenamtliche Initiative wesentliche Sanierungsarbeiten übernommen und sich um eine Neubelebung als Kulturort bemüht. [2] Nun wird seit 2023 in der Ausstellungsreihe in vitro der Pavillon selbst zum Thema, als Baukörper und Ausstellungsdisplay in der Landschaft des Grugaparks.
Emil Walde ist diesem Baukörper im wahrsten Sinne des Wortes auf den Grund gegangen ist. Neben der Folieninstallation auf der Glasfassade besteht ein zweiter Teil seiner Arbeit im Freilegen eines Bereichs der Deckenkonstruktion. Nachdem die verkleidenden Kunststoffpaneele entfernt wurden, blickt man nun direkt unter die Holzbalkendecke des Flachdachs. Und man ist ein wenig überrascht, neben den clean wirkenden Materialen Stahl und Glas der Fassade auf das traditionelle Baumaterial Holz nebst einigen Matten Glaswolle zu stoßen. Durch den ungewohnten Blick in die Konstruktion des Gebäudes wird das Bewusstsein dafür geschärft, dass man sich in einer Architektur befindet, die von außen einer gläsernen Box gleicht. Im Zusammenspiel mit der durch die Klebefolien behinderten Sicht nach draußen – man kann die Wiesen, Bäume und Wege nur fragmentiert durch kleine Schlitze erkennen – werden wir uns unserer Rolle als Betrachter*innen bewusst. Als Akteure in einem Raum, der einem Glaskasten ähnelt und Assoziationen an ein Terrarium oder eine Glasvitrine aufkommen lässt.
Der Glaspavillon ist somit das Gegenteil von Bunkern und Katastrophenschutzräumen, mit denen sich Walde in anderen Arbeiten beschäftigt hat. So geht es in Barra (2022) und Jaloux (2021) um die Abschirmung von der Außenwelt. Stets sind es nur dezente Lüftungsschlitze, die eine Verbindung zu den oft unterirdisch verborgenen Schutzräumen, zwischen Innen und Außen andeuten. Der Künstler hat sich immer wieder mit Objekten und Räumen auseinandergesetzt, die mit großen Versprechen aufgeladen sind. [3] Während die Bunkerarchitektur das Versprechen absoluter Sicherheit in sich trägt, war es in Waldes Werken, in denen er Teile von Wohnwagen verwendet (u. a. Seeyoulater, 2019), das Versprechen von Freiheit und Reiseabenteuern. In Superfly Essen (2020) wiederum, einem alten Trampolin in einem dafür viel zu kleinen und niedrigen Kellerraum, das Versprechen des glücklichen Lebens mit Familie, Eigenheim und Garten in der Vorstadt.
Was ist also das Versprechen des Glaspavillons im Essener Grugapark gewesen? Die Architektur des International Style war daran interessiert, die Abfolge von Wand und Fenster immer mehr aufzulösen und eine nahezu durchgängige Glasfassade zu entwickeln, durch die sich Innen- und Außenraum durchdringen konnten. Im Falle des Pavillons im Grugapark sollte durch die großen Panoramascheiben eine Annäherung an Natur stattfinden und diese so weit wie möglich nach Innen geholt werden. Allerdings nur visuell. Denn die grundlegende Funktion von Architektur, die Menschen vor der Witterung zu schützen und ihnen einen Rückzugsort zu bieten, wird keineswegs gestört. Durch die Rahmung der Glasscheiben eingefasst, wird Natur lediglich als ein Bild zu sehen gegeben, das man im Warmen und Trockenen genießen kann.
Lässt man den Blick nun auf den dritten Teil der Intervention im Raum gleiten, so erschließt sich immer mehr, worum es bei dieser Arbeit Emil Waldes geht. Denn an dem Metallobjekt in der Mitte des Raumes erkennt man das sternförmige Muster der Klebefolien an den Glasscheiben wieder. Der aus zahlreichen ausrangierten Lüftungsgittern zusammengesetzte Metallkörper ragt in die aufgebrochene Deckenkonstruktion hinein und ist von Kupferrohren, einem Kunststoffschlauch sowie dem Gebläse einer Klimaanlage umgeben. Angelockt durch helles Licht im Inneren und ein unangenehm lautes Brummen blickt man durch die Lüftungsschlitze auf einen Apparat und spürt zugleich einen kühlen Hauch. Emil Walde hat mitten im Glaspavillon die verschiedenen Teile einer Klimaanlage älteren Datums installiert und in Betrieb genommen. Er präsentiert damit ein technisches Gerät als Ausstellungsstück, das im Alltag möglichst unsichtbar bleiben sollte. Dieses Spiel von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit greift der vom Künstler Paravent genannte Metallkörper auf, wenn er den Apparat einerseits verdeckt und andererseits durch die Lüftungsschlitze den partiellen Blick darauf ermöglicht. Das Paravent-Objekt funktioniert dabei tatsächlich wie ein Raumteiler. Auseinandergefaltet und als Gerade aufgestellt würde es die Breite des Raumes ausfüllen und ihn in zwei Teile trennen. Hier jedoch zu einer Sternform arrangiert, wirkt der Paravent eher wie ein Raumerzeuger, der die Klimaanlage umschließt. Damit reflektiert das Objekt, ähnlich einem sprachlichen Haiku, eine der Grundfragen skulpturalen Schaffens: die Entstehung von Raum und Umraum in ihrer prinzipiellen Reversibilität.
Auch die Tatsache, dass Walde das Gehäuse der Klimaanlage von ihrem Funktionskörper getrennt hat und es frei im Ausstellungsraum platziert – nur durch den Kunststoffschlauch mit dem Metallobjekt verbunden – visualisiert den Gedanken der Differenz von Hülle und Kern sowie von Innen und Außen. Weil der Apparat also wie roh sein Innerstes präsentiert, beginnt man über dessen genaue Funktionsweise nachzudenken. Beim Blick durch die Schlitze der Lüftungsgitter kann man Behälter mit Flüssigkeit, Rohre, einen Ventilator und gerippte Metalloberflächen erahnen. Das Gerät erzeugt mit Hilfe von Wasser und Kältemittel einen Kreislauf von Kondensation und Verdunstung, wodurch kalte oder warme Luft entsteht und die Raumtemperatur reguliert werden kann. Die Klimaanlage präsentiert sich somit als ein geschlossenes System.
Durch die Sichtbarkeit des Apparats beginnt man über die klimatischen Bedingungen im Glaspavillon nachzudenken und es wird bewusst, dass Flachdach und Glasfassade große Temperaturschwankungen bewirken: Starke Hitze im Sommer und große Kälte im Winter. War die Architektur der 1960er Jahre also ästhetisch top aber energetisch eher ein Flop? [4] Der amerikanische Konzeptkünstler Hans Haacke hat in den 1960er Jahren sogenannte Condensation Cubes und Weather Boxes entwickelt – versiegelte Plexiglaswürfel, an denen man beobachten konnte, wie das Wasser je nach Klimaverhältnissen entweder kondensierte oder verdampfte. Alles ganz langsam. Emil Waldes Arbeit kann man als eine Erweiterung dieses von Haacke vorgeführten Prinzips um die Dimensionen Architektur und Mensch begreifen. Denn dass auch die Umwelt Auswirkungen auf das in sich geschlossene System der Klimaanlage hat, zeigt sich besonders an zwei Stellen der Installation: am Wasserfilm auf den Kupferrohren ebenso wie am Kondenswasser, das durch den Kunststoffschlauch durch den Raum bis in Gehäuse der Anlage fließt. Je nach Luftfeuchtigkeit, bedingt durch das Wetter, aber auch durch die Besucherdichte, deren Atmung und Transpiration, verändert sich die klimatische Situation im Raum und somit auch die Arbeit des Apparats.
Emil Waldes ortsspezifische Intervention Condition legt die klimatischen Gegebenheiten des Gebäudes offen, worauf auch der Titel durch die Assoziation an den englischen Begriff für Klimaanlage, air conditioner, anspielt. Zugleich ist condition aber auch allgemein als Zustand, Gegebenheit oder Bedingung zu begreifen. In dem von Walde geschaffenen Wahrnehmungsraum nehmen wir die Architektur und uns selbst darin anders und neu wahr, nämlich in einem Zustand des in vitro, also selbst im Glashaus sitzend oder stehend, in wörtlicher wie auch in metaphorischer Hinsicht. Denn vielleicht wird uns dabei bewusst, dass wir Menschen eine wesentliche condition für Klimaentwicklungen sind – in lokaler ebenso wie in globaler Hinsicht.
[1] Er befindet sich in der innerstädtischen Parklandschaft der Essener GRUGA – ein Akronym für „Große Ruhrländische Gartenausstellung“, die 1929 erstmals in Essen stattfand. Vgl. Julia Ruether/Astrid Schröer-Mlodoch: Die große Schau. Gartenschauen im Essener Grugapark von 1929 bis 1965, Essen 2015.
[2] Der Verein Kubig400 hat sich von 2016 bis 2022 für die Sanierung (Dach, Boden, Elektroinstallationen) und kulturelle Reaktivierung (Konzerte, Kulturveranstaltungen, Lesebetrieb) des Pavillons eingesetzt. Vgl. https://kubig400.jimdofree.com/ (Stand: 11.3.2024)
[3] Vgl. Luisa Ritterhaus: Emil Walde, Köln 2022.
[4] Im Laufe der Baugeschichte des Pavillons wurden zwischenzeitlich Heizkörper an den Fensterscheiben installiert, die man bei der späteren Sanierung jedoch aus ästhetischen Gründen zugunsten einer neuen Fußbodenheizung entfernt hat.