Sabine Kampmann

Kunst- und Kulturwissenschaftlerin
Schreiben – Sprechen – Bilden – Vermitteln

Interview mit Dominika Široká zur Sichtbarkeit alternder Körper, hier ein Auszug:

D.S.: Ihrem Buch zufolge nehmen unsere Zeitgenoss*innen nackte Körper alter Menschen  als »skandalös« wahr. Die Gesichter besonders alter Menschen seien hingegen mit großer Faszination verknüpft: Sie berühren uns, wir empfinden sie gar als schön. Warum können wir das eine nicht ertragen und werden von dem anderen stark angezogen?

S.K.: Dieses Phänomen, vom alten Gesicht fasziniert zu sein, in ihm »zu lesen«, finde ich besonders interessant, weil ich dies immer wieder an mir selbst beobachte. Fast reflexartig beginnt man, in den Furchen und Falten eines alten Gesichts nach dem Charakter der Person zu suchen. Schwere Augenlider werden dann mit Trauer oder hängende Mundwinkel mit Freudlosigkeit assoziiert, Lachfalten um die Augen hingegen als Ausdruck eines heiteren Charakters gelesen. Der Glaube an die prinzipielle Lesbarkeit des Antlitzes hängt mit der Grundannahme der Pathognomik zusammen: Die Vorstellung, dass sich die lebenslängliche Wiederholung der persönlichen Mimik in das Gesicht eingräbt und dieses so zu einem Charakterspiegel wird. Wenn wir greise Gesichter als »schön« empfinden, dann sind wir davon bezaubert, einem gelebten, ereignisreichen Leben gegenüberzustehen, dass sich in der menschlichen Physiognomie vermeintlich widerspiegelt.

Und hier das komplette Interview: https://www.schauspiel.koeln/download/3367/web_mag01_koerper_2021.pdf